Kurzbeschreibung: Ihr Roman „Wenn unsere Welt zerspringt“ ist von einer wahren Geschichte inspiriert. Können Sie uns etwas über die „Affaire Flactif“ erzählen? Die „Affaire Flactif“ ist wohl einer der schrecklichsten Kriminalfälle, die Frankreich je erlebt hat. Zum einen, weil eine fünfköpfige Familie auf grausame Weise getötet wurde, zum anderen, weil das Motiv des Mörders ein scheinbar lächerliches ist. Laut Polizei und Medien wurde die Familie wegen eines Chalets ermordet. Dabei ist die Sache weitaus komplexer. Durch eine Kleinanzeige angelockt, kaufte David Hoytat, der Täter, zu einem unglaublich günstigen Preis ein Landhaus im schönen Bergdorf Le Grand-Bornand. Doch als er mit seiner Frau und den drei Kindern im Ort ankam, erkannte er, dass er betrogen worden war: Xavier Flactif, der Bauträger, hatte zwar das Geld kassiert, dann aber die Bauarbeiten abgebrochen und ein halbfertiges Chalet zurücklassen. Xavier Flactif prahlte mit seinem Reichtum, während die Hoytats ihr Erspartes verloren hatten und nie in das Haus ihrer Träume einziehen konnten. Wenn man nur den Neid von David Hotyat als Motiv anerkennt, schließt man Rassismus als Ursache aus. Xavier Flactifs Eltern kamen aus dem Tschad und aus Guadeloupe, er wurde im Alter von drei Jahren in Frankreich adoptiert. Doch kein Journalist hatte den Mut, den zugrundeliegenden, offensichtlich rassistischen Hass zu erwähnen, der in dem Fall durchaus eine Rolle spielte, obwohl er beispielhaft für die Gewalt ist, die der materielle Erfolg eines Franzosen ausländischer Herkunft bei manchen Menschen in Frankreich auslösen kann. Wie hat die „Affaire Flactif“ Sie persönlich berührt? Was waren Ihre Beweggründe, das Thema literarisch zu bearbeiten? Es waren die schrecklichen Details, die mir halfen, die Geschichte zu entwickeln. Zunächst habe ich sehr viel recherchiert. Danach habe ich aber nicht sofort angefangen zu schreiben. Ich ließ ein paar Monate verstreichen, um alles zu vergessen, was ich erfahren hatte. Ich wollte keine exakte Rekonstruktion des Flactif-Falles, das war nicht mein Ziel. Nach einer Zeit der Reifung machte ich mich ans Schreiben und beobachtete, was ich erinnerte. Ich arbeite oft auf diese Weise: Wenn mir bestimmte Elemente auch nach langer Zeit noch im Gedächtnis bleiben, dann deshalb, weil sie wichtig genug sind, um sie in meine Geschichte aufzunehmen. Was mich an dem Fall besonders beschäftigt hat, war die Überschneidung von Rassen- und Klassenkonflikten. Hier ist der schwarze Mann mächtig und der weiße Mann unterwürfig. Hier steht ein Weißer im Dienst eines Schwarzen. Hier ist das Opfer ein Gauner und der Mörder ein Opfer. Natürlich ist das eine starke Vereinfachung, aber sie erlaubt uns zu sehen, dass die gesellschaftlichen Konstellationen, denen wir begegnen, meistens umgekehrt sind. Diese – für manche unerträgliche –Umkehrung der Verhältnisse war zweifellos der Ursprung der Tragödie. Warum spielt die Geschichte Ihres Romans 2015 und nicht 2003, zur Zeit des wahren Falls? Ich habe die G ..
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