Kurzbeschreibung: Aufgewachsen als Sohn eines Gefängnisdirektors in unmittelbarer Nähe zur Jugendstrafanstalt; in einer Familie, in der klassische Musik und Literatur eine tragende Rolle spielen; der Krieg ist noch nicht lange vorbei: «Hast du uns endlich gefunden» ist aus der Perspektive eines 12-jährigen Jungen geschrieben. Weshalb? Dieser Text versucht, ein genaues Gesellschaftsbild einer Familie um 1960 zu erzählen. Dabei spielt die Spannung zwischen feingeistiger musischer Bildung und Verwurzelung in nationalsozialistisch-wilhelminischem Denken eine große Rolle. Die Erzählperspektive des zwölfjährigen Jungen ermöglicht eine schonungslose und zugleich verletzliche Beobachtung. Die Erwachsenen dieser Jahre weichen den unangenehmen Fragen zu ihrem Verhalten in der Nazizeit gern aus, indem sie den Scheinwerfer auf das moralische Wohlverhalten ihrer Kinder richten. Deshalb ist das Innenleben eines Kindes der beste Seismograph für die Ambivalenz der Eltern. Mit dem Abstand von mehr als einem halben Jahrhundert – wie nah fühlen Sie sich heute diesem Jungen, den Sie einen «fernen Bruder» nennen? Erst im Alter habe ich den Mut gefunden, auf meine Kindheit zurückzublicken. Dabei habe ich gespürt: Der 73-Jährige zieht aus der Vitalität dieses Jungen immer noch sehr viel Kraft. Dieser Text ist nicht die Klage eines Opfers, im Gegenteil, er ist das Selbstporträt eines Stehaufmännchens. Schlimmste Erniedrigungen versucht dieses Kind in einen Sieg der Phantasie umzumünzen. Daraus entsteht eine problematische Disposition, die sich aber für einen Ausdrucksberuf als durchaus fruchtbar erweisen kann. Dieses Buch zu schreiben sei ebenso harte körperliche Arbeit wie die Schauspielerei gewesen, sagen Sie. Wie lange schon verspürten Sie den Wunsch zu schreiben? Harte körperliche Arbeit? Na ja, ich muss auf meinen Körper hören, wenn der Ausbruch aus Zwang und Isolation gelingen soll. Aggression spielt dabei eine große Rolle, aber auch das Bedürfnis, sich zu öffnen und ein Resonanzraum für andere Menschen zu sein. Und dabei denke ich eher an meinen Kreislauf, meinen Atem, meine Muskulatur, meine Nerven und weniger an mein Hirn. Ich bilde mir ein, die Gedanken kommen von selbst, wenn mein Körper sich beruhigen kann. Offenbar schützt auch die Liebe zu Literatur, Kunst und Musik eine gutbürgerliche Familie nicht vor Antisemitismus. Gegen die politischen Ressentiments der Eltern opponieren die älteren Brüder mit aller Heftigkeit. Wie erlebt das 12-jährige Kind diesen Konflikt? Voller Spannung. ..
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