Kurzbeschreibung: Aufs Klo gehen heißt aufm Amt nicht nur aufs Klo gehen. Das heißt auch kurz durchatmen. Kleine Pause. Meistens macht man auf dem Rückweg noch einen kleinen Schlenker und stattet Kollegen einen kurzen Besuch ab. Auf diesen Umwegen besteht natürlich immer die Gefahr, Vorgesetzte zu treffen. Damit es aber nicht so aussieht, als würde man heiter in der Arbeitszeit spazieren gehen, gibt es eine Geheimwaffe, die jeder Amtsmensch kennt: die Umlaufmappe! Normalerweise ist sie dazu gedacht, Dokumente von einem Bereich in den anderen zu schicken. Ohne diese Mappe verlässt hier niemand das Büro. Auf jeden Fall muss ick uff Klo! Mit meiner Umlaufmappe unterm Arm, laufe ich über den Gang und will die Treppe in die zweite Etage hoch. ›Entschuldigen Sie!‹, höre ich hinter mir. Verdammte Axt. ›Entschuldigung!‹ Jetzt etwas energischer und lauter. Ich bleibe stehen. Seufze laut, und drehe mich um. ›Ja, bitte?‹, antworte ich, man merkt mir an, dass ich genervt bin. Vor mir steht eine junge Frau, schätze, Mitte dreißig. Südländisch. Vor ihr im Kinderwagen ein kleines Baby, das mich anstrahlt. Süß. Aber ich muss weiter. ›Bitte helfen. Entschuldigung. Vielmals!‹ Sie faltet den altpapiergrauen Brief auf und zeigt auf den Briefkopf. ›Büro nicht finden. Elterngeld‹, sagt sie. ›Entschuldigung, ja. Bitte Entschuldigung. Ich Sie stören. Entschuldigung‹, fügt sie hinzu. Ich werde butterweich. Sie spricht nur gebrochen Deutsch und beugt sich beim Entschuldigen immer leicht vor. Mit ihrer Körpersprache versucht sie, mir zu signalisieren, dass sie etwas braucht. Abhängig ist. Von diesem Land. Von diesem Amt. Von mir. Bekomme Gänsehaut und will ihr sagen, dass sie aufhören soll, sich so vorzubeugen. Und dann will ich sie eigentlich kurz in den Arm nehmen und ihr sagen, dass sie sich nicht zu entschuldigen braucht. Wo sind wir denn hier, samma? Ist doch ihr gutes Recht nachzufragen. Bin ja auch für sie hier. Für sie und alle anderen Menschen dieser Stadt, die halt was brauchen und deswegen herkommen. ›Zeigen Se mal her! Allet jut! Bin ja da!‹ Ich nehme den Brief aus ihrer Hand. ›Jugendamt‹ steht im Briefkopf. ›Sie müssen eene Etage höher! Da is dit Jugendamt. Hier sind Se falsch!‹ Sie guckt mich fragend an. Ihre riesengroßen dunklen Augen werden glasig. Sie ist sichtlich überfordert. ›Elterngeld!‹, sagt sie und die erste Träne kullert ihr über die Wange. Pure Verzweiflung. Nicht heulen, Mausi! ›Is doch allet jut! Ick helfe Ihnen! Nicht schlimm! Nicht weinen!‹ Was mache ich denn jetzt? Das Baby schreit sich die Seele ausm Leib. Vielleicht erst mal das beruhigen? Beuge mich zum Baby, nehme mein Handy aus der ollen Umlaufmappe und halte sie ihm vor die Nase. Ruhe! Geschafft! Die Ecke der grünen Mappe wandert direkt in den kleinen Mund und wird erst mal angeknabbert. Egal! Kannste haben, du süßes Ding! ›Kommen Se mal her! Se müssen doch nich weinen, meene Jüte!‹ Ich nehme die schluchzende Frau fest in den Arm. ›Se kommen jetze ma mit mir mit!‹ Ich öffne die Tür zu unserem Büro, s ..
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